Montag, 29. April 2013

EINLEITUNG




Not a feel good movie“



Die Tragödie ist in der Kultur der szenischen Künste eine etablierte Form der Aufführung. Aristoteles beschreibt sie als Katharsis, in der wir unsere Seele läutern und uns reinigen. Eine Identifikation mit dem Schicksal des Protagonisten macht uns tragische Konflikte erfahrbar, wir durchleben zusammen mit ihnen Schrecken, Schauer, Hoffnung und Trauer. Diese Aufführungen präsentieren sich uns an Orten, die wir selber wählen. Wir begeben uns in die Theater, Opern und Kinosäle, um uns diesen Strömungen auszusetzen. Stets selbst gewählt und darum kontrolliert holen wir uns die Tragödie in unsere Intimsphäre. Die Sujets dringen mit unehrenhaften, unanständigen, erfolglosen oder tragischen Handlungen in uns ein und werden Teil unseres Erfahrungsschatzes. Plötzlich durchdrungen von der Tragödie, machen wir Erfahrungen, die uns im Leben vielleicht niemals begegnen würden. Beschämt, unzufrieden, eingeengt oder beklemmt sitzen wir in unseren Sesseln, bereit die Kontrolle über unsere Gefühle abzugeben. Benommen erwachen wir aus der Inszenierung und sortieren die Eindrücke. Oft bleiben uns diese noch lange erhalten und wir sind berührt, obwohl wir nur als Beobachter partizipiert haben. Man könnte es als Aufklärung verstehen, es werden neue Perspektiven und dialektische Zugänge geboten. McLuhan beschreibt Medien als Verlängerung des Körpers. In der Tragödie erweitern wir unseren Erfahrungsschatz und bereichern uns an dramatisierten Szenerien. Zwei der etablierten Trigger sind Mitleid und Furcht. Das Horrorgenre weiß uns mit Furcht zu durchdringen, wo hingegen Dramen oft auf das Mitleid anspielen. Der Kriegsfilm schockiert mit Bildern von Schauplätzen der Gewalt und leidenden Soldaten. Eben jene Beispiele lassen sich gut beschreiben, schwieriger wird es hingegen, wenn die Handlung uns subtiler einnimmt. Es stellt sich die Frage welche Möglichkeiten Film bietet Gefühle erfahrbar zu machen und diese Audiovisuell dazustellen.


 „Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daß wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen“ (Walther Benjamin / „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ [Dritte Fassung] S. 21)

Koen Mortier lässt in Ex-Drummer (2007) seine Figuren kopfüber an der Decke laufen, führt sie auf eine Reise in eine Vagina und zeichnet den grauen Alltag der Unterschicht in Belgien. Mortier stellt den erfolgreichen Schriftsteller Dries in Kontrast zu der vermeintlich behinderten und gewalttätigen Punkgruppe. Der Schriftsteller, als Vertreter des Zuschauers, getrieben von Voyeurismus und Neugier begibt sich in eine ihm fremde Umgebung. Er wägt sich in der trügerischen Sicherheit in sein beständiges Leben zurück kehren zu können, wann immer die Situation für ihn nicht mehr ertragbar ist. Was wir von unseren sicheren Warte aus beobachten, dringt bei ihm tief in seine Realität ein. Steht Dries als Metapher für das Publikum, welches auf der Suche nach Unterhaltung ins Kolosseum strömt und was bekommen wir zusätzlich geboten? Wie distanziert können wir diese Erfahrungen auf der Leinwand betrachten und ab welchem Punkt werden sie zum Teil unseres Erfahrungsschatzes?



Eine der derzeit erfolgreichsten Serienproduktionen: Homeland, bringt uns den Krieg nahe ohne aufwendige Schusswechsel oder effektvoll inszenierte Kriegsschauplätze. Die Charaktere stehen im Mittelpunkt, sie sind es die die Faszination der Serie ausmachen. Sie werden uns in ihrer Tiefe präsentiert und wir wanken mit unseren Sympathien ständig zwischen den beiden Protagonisten hin und her. Erfolgreiche Produktionen von Qualitätsserien spielen weniger auf die Special Effects an, sondern auf die Tiefe der Handlung. Begriffe wie Glaubwürdigkeit und Authentizität werden bemüht, sie sollen zeigen wie nachvollziehbar und schlüssig das Handeln und Dilemma der Charaktere inszeniert sind.



Night of the Hunter (1955) von Charles Laughten steckt das Genre Thriller ab. Wir bekommen einen Robert Mitchum präsentiert, der wie ein Tier agierend durch die künstliche Studiowelt stürmt. Wehrlose Kinder sind dem Tier ausgeliefert, auf der Flucht und in ständiger Angst, wie in einem Alptraum durch ein Szenario aus Licht und Schatten. Die Paranoia entsteht nicht nur durch das Handeln der spielenden Personen, sondern auch durch die Mise-en-scene.




„Not a feel good Movie“ ist eine sehr allgemeines Feld. Eine Definition zu finden ist nicht die Aufgabe des Dossiers, da die Übergänge fließend sein können. Jedes Genre besitzt das Potential mindestens Elemente der vorangegangen Stimmungsbilder zu verwenden.
Dieses Dossier soll als Anfang gelten filmvermittelnde Filme und Essays zu sammeln, die sich eben mit dieser Filmsprache beschäftigen. Es soll Möglichkeiten bieten zu beschreiben, wie Strategien effektiv eingesetzt werden. Das Dossier hat Beiträge gesammelt, die sehr elaborierte künstlerische Filme bieten, die sich vielleicht nicht beim ersten sehen selbst erklären, filmvermittelnde Filme, die über einen Off-Kommentar funktionieren oder über das Aufreihen sich wiederholender Motive.
Wir betrachten wiederkehrende Muster bei David Lynch, bekommen einen Einblick in die Geschichte des Zombiefilms, schauen in die Inszenierung von Räumen bei Stanley Kubrick und bekommen Alternativen zum etablierten Kriegsfilm.
Filmvermittelnde Filme bieten uns einen Zugang Wirkungsweisen der Inszenierung zu untersuchen. Nicht auf Vollständigkeit oder Unwiderlegbarkeit aus, sondern spielerisch und neugierig gehen wir auf Entdeckungsreise. Der filmvermittelnde Film soll Spaß machen und Möglichkeiten bieten Filme zu untersuchen, eine Sichtbarmachung der Filmwissenschaften, niederschwellig für ein breites Publikum zugängig. /20.04.2013
 

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